„Mephisto weckt
unsere Leidenschaft“
KLASSIK
Khatia Buniatishvili
In der Riege attraktiver, junger Pianistin-
nen ist Khatia Buniatishvili eine Ausnah-
meerscheinung. Das beweist ihr Debütal-
bum bei Sony, auf dem sich die
2 3
-Jährige
Franz Liszt widmet. Dort beeindruckt die
Georgierin mit einem warmen, wunderbar
farbenreichen Klavierton, atmenden Bö-
gen, glänzender Technik und nicht zuletzt
Funken sprühendem Spielspaß
STEREO:
Khatia Buniatishvili klingt für einen
Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig. Sollten
Sie sich aus Karrieregründen nicht lieber einen
Künstlernamen zulegen?
Khatia Buniatishvili:
M ein alter A ge n t m e in -
te in der Tat: „D e r N a m e ist zu sch w er au szu -
sp re ch e n “, u n d G iy a K a n c h e li, m ein L ie b -
lin g sk o m p o n ist au s G e o rg ie n , sagte zu m ir:
„Sie kö n n en u n m ö g lich den N a m e n behalten,
w eil a u f ein er C D - H ü lle d a fü r n ich t g e n u g
P latz ist“ (lacht). A b e r m eine Eltern haben m ir
so viel gegeben, auch als es in G eo rgien schlecht
au ssah , dass ich sto lz b in a u f sie u n d dieses
La n d . M ir ist es deshalb lieber, dass die Leute
beim A ussprechen m eines N a m e n s einen Feh -
ler m achen als dass ich ih n ä n d ern m üsste: Ic h
w ill m eine V ergang enh eit n ich t verlieren.
STEREO:
Beschreiben Sie Ihre Persönlichkeit.
K.B.:
Ich b in Z w illin g im H o ro sk o p . In m ir
gib t es Flo restan, d er D iv a sein w ill u n d M o -
de u nd alles, w as m it G la m o u r zu tun hat, m ag:
Ic h genieße es sch ö n auszusehen. D a ist aber
au ch Eusebiu s, dem total egal ist, was andere
über ihn denken. W e n n ich m o rgen kein e A r -
beit m e h r hätte u n d in ein er B a r spielen s o ll-
te, w ürde m ir das n ich ts au sm ach en . W ic h tig
ist, dass ich das G e fü h l habe zu leben.
STEREO:
Warum widmen Sie sich auf Ihrer
Debüt-CD ausschließlich Liszt?
K.B.:
Z u n ä c h s t hatte ich an S c h u m a n n g e -
dacht, w eil m ir sein ü o p p e lc h a ra k te r E u se b i-
u s/Flo restan seh r nahe ist. A u f m e in e r ersten
C D w ollte ich d a n n aber d o ch n ic h t zu v ie l
extrem e Ko n traste. U n d L iszt ist ein K o m p o
nist, der zw ar verschiedene G e sich te r hat, aber
diese besser au sb alan ciert. In ih m steckt der
Priester, d er e xp erim entelle K o m p o n is t, aber
eben auch der revo lu tio n äre H e ld , der das gla-
m o u rö sc Leben u n d d ie F ra u e n gelie b t hat.
M it L is z t k o n n te ich a ll d iese A sp e k te aus-
d rü c k e n , o h n e v e rrü c k t zu w erd e n w ie bei
Sch u m a n n . A u ß e rd e m habe ich bei L is z t d ie -
sen „zigeu nerhaften “ kö rp e rlich e n Sp aß beim
Sp ie le n , ich fühle m ich dabei ju n g .
STEREO:
Über welche Fähigkeiten muss der
ideale Liszt-Interpret verfügen?
K.B.:
E r so llte sta rk e n K ö rp e rk o n ta k t zu m
K la v ie r h ab en , m it Feuer u n d extre m e m R i-
s ik o sp ie le n , statt n u r sa u b e r u n d sch n e ll
LU
o d e r g a r a k a d e m isc h . Ic h h alte es fü r
w ich tig , B ü c h e r ü b e r ih n u n d sein g e is-
tiges U m fe ld zu lesen u n d fin d e es sehr
sch ad e, d ass es vie le ju n g e M u s ik e r gib t,
d ie das n ich t m e h r tu n . D ie d e n k e n , sie
k ö n n e n ach t S tu n d e n K la v ie r ü b en, u n d das
re ich t - ab e r d as ist n ich t w ah r. L is z t hat
au ch se lb stg e sch rie b e n , u n d fü r ih n w ar M u -
s ik e in e K u n s tfo rm , d ie Ä h n lic h e s a u sd rü -
eken k a n n w ie L ite ra tu r, M a le re i u n d A r -
c h ite k tu r. D ie W e its ic h t e in e s L is z t-in te r -
preten so llte in je d e m F a ll se h r b re it sein.
STEREO:
Den „Mephisto- Walzer
“
spielen Sie
sehr farbenreich, zugleich auch strukturbe-
wusst - selbst bei rasender Geschwindigkeit
kann man zahlreiche Details wahrnehmen.
..
K.B.:
...d an ke , das freut m ich , d e n n d er „M e -
p h isto -W a lze r“ ist P ro g ra m m m u sik , jede N o -
te hat etw as z u bedeuten. E s ist u n g la u b lich ,
w ie L iszt eine gesch rieb en e G e sch ich te so m it
N o te n a u sd rü cke n ko n n te. In zeh n M in u te n
h ö rt m an ein ganzes T heaterstü ck, das sonst
v ie r Stu n d e n dauert.
STEREO:
Ein Aspekt fehlt mir vielleicht bei Ih-
rer Interpretation: Das Diabolische.
..
K.B.:
...w irk lic h ? V ie lle ic h t liegt d as d aran ,
dass es versch ied en e Sich tw e ise n des D ia b o -
lisch en gibt. Ic h stelle m ir M ep h isto als V e r
s u c h u n g vo r. E r hat etw as m it Se xu alität zu
tun, w ir m ö ch ten zu ih m gehen. W e n n er uns
n u r F u rch t m ach t, gehen w ir lieber zu Gott.
M e p h isto w eckt u n se re Le id e n
schäften, unsere G e fü h le au s dem
B a u ch heraus. Bei P ro k o p e w d a g e -
ge n ist fü r m ic h d as D ä m o n isc h e
g le ich b e d e u te n d m it K rie g . 2008
w ar ich zw ei T a g e v o r A u s b ru c h
des G e o rg ie n k rie g e s n ach F ra n k
reich gefah ren . Selbst so k u rz d a -
v o r k o n n te sich d am als n o ch n ie -
m an d eine E skalatio n des K o n flik ts
vorstellen. A ls d a n n d er K rie g be
g a n n , w ar ich d e r u n g lü ck lich ste
M e n sch , w eil ich n ich t bei m ein er
F a m ilie sein k o n n te . In so lch en
M o m e n te n fü h lt m a n n u r n o ch
A n g st: d as sc h re c k lic h ste G e fü h l
überhaupt.
STEREO:
Liszt hatte zu seiner Zeit
die Spieltechnik auf dem Klavier we-
sentlich erweitert. Gelten seine Wer-
ke auch heute noch als Maßstab für
Virtuosität?
K.B.:
F ü r Pianisten bleibt L is z t einer
d er te ch n isch sch w ierigsten K o m
ponisten. Straw in skys „Petru sch ka-
Suite“ etwa ist n ich t schw erer, son
d e m erfordert eine
andere T e ch n ik . D ie
G e sch w in d ig keit
k o m m t v o n
h ier
(zeigt
a u f
ihre
S tirn ). W e n n D u
im K o p f die N o -
ten
sch n e lle r
hörst als andere,
k a n n st D u auch
sch n e lle r spielen - falls die M u sk e ln u n d die
F le x ib ilitä t der H a n d das erlauben.
STEREO:
Steht Ihnen dabei Ihre Physis im We
ge? Sie wirken zierlich und haben keine großen
Hände.
..
K.B.:
...n ic h t so breit w ie die von R a ch m a n i
n o w m ein en Sie (lach t). A b e r V irtu o sitä t hat
n ich ts zu tun m it lan ge n F in g e rn u n d p h vsi
sch er K ra ft, so n d e rn m it Energie.
STEREO:
Was bewundern Sic an den „großen
Alten" des Klavierspiels wie Richter?
K.B.:
H e u te g ib t es im Fernsehen o d er R a d io
ke in e D o g m e n m e h r. D o c h w en n heute je
m an d ü b e r S e x u a litä t sp ric h t - w as frü h e r
n ich t e rlau b t w ar - , aber tiefer geht, gib t es
im m e r n o ch einen S k an d al. F rü h e r haben die
Leute n ich t über alles gesp ro ch en , aber es gab
P e rsö n lich ke ite n , d ie etwas bis zu m E n d e v e r-
treten haben, m an che w ie Jeanne d ’A r c w u r-
den d a fü r v e rb ra n n t. Ä h n lic h ist es bei den
M u sik e rn . F rü h e rsp ie lte m an vielleich t nicht
so sauber u n d v irtu o s w ie heute, aber tiefer.
H eu te dagegen ist n ich ts ü b erraschend.
Andreas Kunz
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter wwvy.stereo.de
142 STEREO 6/2011